Erklärung der Hamburger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
zu der politischen Forderung der Gruppe Lampedusa in Hamburg
Wir unterstützen die Forderung der Gruppe Lampedusa in
Hamburg, ihre humanitäre Notlage durch eine Bleiberechtsregelung nach § 23 AufenthG
zu lösen.
§ 23 AufenthG soll den zuständigen Behörden die Reaktion auf
eine humanitäre Notlage ermöglichen, die eine bestimmte Gruppe von Personen
betrifft. Mit dem Erlass einer Anordnung nach § 23 AufenthG kann eine
Landesbehörde Kriterien definieren, unter denen sie aus humanitären Gründen im
Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium ein Bleiberecht gewährt. Dieses
Vorgehen schafft Transparenz und Rechtssicherheit.
Dass die Anwendung einer gesetzlichen Regelung ein
rechtsstaatliches Verfahren ist, bedarf normalerweise keiner Erwähnung. Doch
durch die jüngsten Äußerungen der politischen Akteure in der Diskussion um die
Forderungen der Gruppe in Lampedusa in Hamburg sehen wir uns als
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte veranlasst, Folgendes klarzustellen.
Der Rechtsstaatsgedanke ist Teil des Grundrechtskonzepts,
das entwickelt wurde als Konzept der Abwehrrechte des Einzelnen gegen
staatliche Eingriffe. Rechtsstaatliche Garantien wie z.B. das Recht auf
effektiven Rechtsschutz, das Recht auf ein faires Verfahren oder die
Selbstbelastungsfreiheit sollen die Menschen vor Eingriffen in ihre Grundrechte
und staatlicher Willkür schützen. Mit Besorgnis nehmen wir zur Kenntnis, dass
der Begriff des Rechtsstaats in der jüngsten Debatte zunehmend genutzt wird, um
Repressionen gegen Einzelpersonen zu legitimieren.
Aus dem Rechtsstaatsbegriff folgt insbesondere Folgendes:
1. Es gab im Zusammenhang mit den gegen die Mitglieder der Gruppe Lampedusa
in Hamburg gerichteten Kontrollen und Freiheitsentziehungen mehrere Maßnahmen,
die rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entsprechen. Dies betrifft insbesondere
die rechtswidrige Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlung und die stundenlange,
in zwei Fällen sogar 24 Stunden andauernde Freiheitsentziehungen ohne richterliche
Anordnung. Hinzu tritt die Verkürzung des Rechtsschutzes durch die
Nichtbeachtung der durch viele Betroffene eingelegten Widersprüche sowie die
Anordnung des Sofortvollzugs ohne Beachtung des gesetzlich vorgesehenen
Erfordernisses einer schriftlichen Begründung.
2. Es gibt keinen rechtsstaatlichen Grundsatz, nach dem jemand generell
verpflichtet wäre, sich bei einer Behörde zu melden, um „seine Identität
preiszugeben“. Im Gegenteil: wenn, wie es bei der Gruppe Lampedusa in Hamburg
der Fall ist, von Seiten der Behörden generell davon ausgegangen wird, es
bestehe der Verdacht des illegalen Aufenthalts, dann gilt der rechtsstaatliche
Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, Angaben zu machen, die ihn der Gefahr
der Strafverfolgung aussetzen.
3. Wer einen Antrag, z.B. auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellt,
ist zur Mitwirkung im Antragsverfahren verpflichtet, indem er die für die
Entscheidung über den Antrag erforderlichen Angaben macht. Es gibt allerdings
keinen rechtsstaatlichen Grundsatz, wonach jemand verpflichtet ist, einen
Antrag zu stellen. Erst recht kann weder verlangt werden noch kann es für den
Einzelnen sinnvoll erscheinen, einen Antrag zu stellen, wenn bereits von
vornherein von der für die Entscheidung zuständigen Behörde erklärt wird, dass
dieser Antrag ohnehin abgelehnt werden wird.
Die Gründe, auf die die Gruppe Lampedusa in Hamburg ihre
Bleiberechtsforderung stützt, sind durch die vielen öffentlichen Äußerungen der
Gruppe, aber auch durch die im September 2013 von der Gruppe gestellten
beispielhaften Anträge, hinreichend bekannt.
Am Beispiel dieses Gruppenschicksals wird das Versagen des
europäischen Asylkonzepts deutlich, das die Menschen innerhalb Europas hin -
und herschiebt und immer wieder in das Land der ersten Aufnahme zurückverweist,
obwohl genau diese Länder keinen angemessenen und menschenwürdigen
Flüchtlingsschutz mehr garantieren können.
Individuelle Anträge betrachten wir nicht als Verzicht auf
die angestrebte Gruppenlösung. Denn der Vorschlag des Senats, dass die Flüchtlinge
eine Aufenthaltserlaubnis in individuellen Verfahren beantragen und sich damit
den Dublin-Regelungen unterwerfen, ist jedenfalls dann kein gangbarer Weg, wenn
- wie vom Senat mehrfach signalisiert - diese Anträge von der Ausländerbehörde
abgelehnt werden.
Nur eine politische Lösung und die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 AufenthG kann dies verhindern und wäre ein
erster Schritt in Richtung eines menschenwürdigen europäischen Asylsystems.
Angesichts der politischen Dimension des Themas und der Not der Betroffenen
wäre es an der Zeit, dass der Senat sein Versteckspiel beendet und die
Initiative für eine Lösung ergreift, die ein Bleiberecht für die Mitglieder der
Gruppe Lampedusa in Hamburg ermöglicht.
Wir fordern den Senat auf, hierfür das vom Gesetzgeber zur
Verfügung gestellte Instrument des § 23 AufenthG zu nutzen. Dies ist der
einzige Weg, um den Betroffenen Gewissheit über ihr aufenthaltsrechtliches
Schicksal zu verschaffen und klarzumachen, ob ein politischer Wille besteht, die
humanitäre Notlage zu beenden.
RA Wolfgang Berendsohn,
RA Claudius Brenneisen, RA Sükrü Bulut, RAin Cornelia Ganten-Lange, RAin Insa
Graefe, Anne Harms, Fluchtpunkt, RAin Erna Hepp, RAin Daniela Hödl, RA Hartmut
Jacobi, RA Michael Kraft, RA Markus Prottung, RAin Ilka Quirling, RA Björn
Stehn, RAin Anna Vahjen, RA Christian Woldmann, RA Ünal Zeran (Erstunterzeichner/innen), RA Manfred Alex, RAin Gül Aydin, RAin Maren Ballwanz, RA Masoud Behraznia, RA Mirco Beth, RA Andreas Beuth,
RAin Katharina F. Boehm, RA Thomas Breckner, RAin Heike Brodersen, RAin Catrin Brosowski, RA Peer-Olaf Buck
(Büdelsdorf), RA Tim Burkert,
RA Sebastian Busch, RA Arne Dahm, RAin Lena Damman, RA Georg Debler, RAin Petra Dervishaj, RAin Ulrike Donat, RA Antonio Durán Muñoz, RAin Britta Eder, RAin Ursula Erhardt, RA Carsten Gericke, RA Manfred Getzmann, RAin Dorothea Goergens, RA Dirk Gosau, RA Taylan Günes, RAin Ursula Hein, RA Gabriele Heinecke, RAin Annika Hirsch, RAin Ilka Hoffmann, RA Enno Jäger, RA Jonny Jalass, RAin Ines Jendrny, RA Reinher Karl, RA Martin Klingner, RA Eckhard Klitzing, RA Ronny Koch, RA Dr. Dirk Legler, RA Michael Leipold, RA Martin Lemke, RA Yu Lin, RAin Britta Lüers, RAin Gabriela Lünsmann, RA Klaus Maßmann, RA Micheal Meyer, RAin Tabea Meyer, RA Marc Meyer, RA Nils Meyer-Abich, RAin Lisa Moos, RAin Karen Mücher, RA Mark Nerlinger, RAin Anke Niehaus, RA Gerrit Onken, RAin Marion Pein, RA Stefan Piehl, RA Klaus Piening, RAin Gül Pina, RAin Eva Proppe, RA Friedrich-Wilhem Reineke, RA Wolf Dieter Reinhard, RA Florian Riechey, RA Andreas Rischar, RA Dr. Ralf Ritter, RA Nils Rotermund, RA Johannes Rothehueser, RA Albert Rühling, RA Johannes Santen, RA
Steffen Sauter , RAin Anette Schmidt, RA Hendrik Schulze, RA Klaus Seidensticker, RAin Christine Siegrot, RA Michael Spielhoff, RA Arne Städe, RA Gunnar Stark, RA
Sebastian Sudrow, RAin Cornelia Theel, RA Arne Timmermann, RA Bilsat Top, RAin Sigrid Töpfer, RA Wolfram Velten, RA Bernd Vetter, RA Dr. Bernd Wagner, RA Jens Waßmann, RA Cornelius J. Weimar, RAin Ursula Wens, RA Rainer Willhoeft, RA Matthias Wisbar, RAin Ingrid Witte-Rohde, RA Ulrich Wittmann, RAin Nil Yükova, RAin Constanze Zander-Böhm
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